Nachdem ich bei meiner Mutter die guten selbst gemachten Marmeladen abgestaubt habe, bin ich jetzt auf dem Weg zum Wöhrder See, um beim 3. Finishline-Frauenlauf die 10 km zu Laufen. Wie üblich habe ich bei der Anfahrt Herzrhythmusstörungen vor Aufregung und bin wie vor jedem "Wettkampf" der Überzeugung, dass heute wieder nix geht und ich eigentlich gar nicht antreten bräuchte. Aber getreu meinem Motto "LOSLAUFEN" biege ich in den Parkplatz bei der Bartholomäus-Schule ein und finde einen günstig gelegenen Stellplatz.
Der Start-/Zielbereich liegt heute weiter östlich beim ConAct im Klüpfel, wo auch Umkleiden und Toiletten für die Läufer sind. Ich gehe zur Startnummernausgabe und hole stolz die Unterlagen für den 10er. Eine Frau drückt mir eine blaue Stofftasche mit Werbematerial in die Hand und die Startnummer 1091. Ich glaube, ich bin gerade ein Stück gewachsen!
Da die Umkleiden durch große Fenster einsehbar sind, gehe ich zum Auto und ziehe mich dort umständlich um und wieder stellt sich die Frage: was ziehe ich an. Es ist ein bißchen kalt, manchmal, wenn die Sonne rauskommt, ist es heiß, Frühlingswetter halt! Schließlich wird's die rote 3/4-Tight und das kurzärmlige Laufshirt vom Nürnberger Stadtlauf vom vorletzten Jahr (an dem ich ja nicht teilgenommen, sondern nur meinem Team-Bittel zugeklatscht habe), meine Gonso-Weste und eine Windjacke, die ich notfalls um die Hüften binden kann und natürlich die Team-Bittel-Cap. Ich suche meine Hüfttasche mit Wasserflasche, Traubenzucker, mp3-player und Asthmaspray und es durchfährt mich großer Schreck: der Gurt ist nicht da, wahrscheinlich liegt er zuhause irgendwo. Glücklicherweise habe ich noch ein Ersatz-Asthmaspray und ein Handgelenkstäschchen, das ich mir um den rechten Knöchel binde.
Beim Veranstaltungsort gibt es noch ein paar Infostände und ich schaue mich noch ein bißchen um. Am ODLO-Stand sehe ich eine schöne gelb/schwarze Adidas-Tight Größe S (kein Witz, Adidas bei ODLO!) 30,- EURO soll sie kosten, ist aber leider zu klein (dann kann's wohl kein S gewesen sein). Weiter beim New-Balance-Stand gibt es nur Walkingschuhe, da heute etwas früher ein Walking-Event stattgefunden hat. Beim Stand des Klinikums Nürnberg lasse ich mir den Blutdruck messen und er ist wieder mal viel zu niedrig, wie immer! Ein Reisebüro und ein Blumenstand folgen, zum Schluss kommt Falke mit Socken und Sport-BH's.
Aber jetzt geht es auf zum Start, es ist fast 19:00 Uhr und der 5km-Lauf ist schon lange zu Ende. Ich treffe ein männliches Mitglied des Teams Bittel und weiß wie üblich wieder mal nicht seinen Namen, was ich aber wieder mal geschickt verbergen kann. Das Warm-up am Start durch den Sponsor "Sport Centrum Nürnberg" mache ich nicht mit, sondern laufe lieber ein paar langsame Meter und reihe mich dann ganz hinten am Startpulk ein.
10-9-8.... wir zählen runter: Schuss. Es geht los. Im Vorfeld dachte ich mir, dass ich heute wahrscheinlich nicht die Letzte sein werde, da die beiden letzten Jahre die Zeiten der Letzten deutlich langsamer waren, als die Zeit, die ich anpeile, aber letztes Jahr waren es wohl die Walkerinnen, die die Letzten waren, die sind dieses Jahr schon bei einer früheren Veranstaltung gestartet. Also sehe ich mich wieder mal allen anderen hinterher laufen. Anfangs sehe ich noch drei Läuferinnen und ich versuche, den Abstand nicht zu groß werden zu lassen, merke aber doch sehr bald, dass das nicht mein Tempo ist. Also lasse ich abreißen und versuche vor mich hinzutrotten und die Gegend zu genießen. Der Motorradfahrer hinter mir muss immer wieder stehen bleiben, weil das Tempo für ihn einfach viel zu langsam ist.
Bei Kilometer 1, gegenüber dem Erfahrungsfeld der Sinne habe ich 7:18 auf der Uhr und einen Puls von 175. Also bremse ich noch ein bißchen und lasse den Körper einfach so laufen wie er will, ich habe meinem Rhythmus gefunden und setze einfach einen Schritt vor den anderen: trapp, trapp, trapp. An allen potenziellen Abzweigungen weisen mir junge Mädchen mit Rollerscates den Weg. Langsam wird mir wärmer und ich binde die Jacke um die Hüfte, nehme meinen ersten Traubenzucker.
Ich trabe weiter, von der Wöhrder Wiese zurück zum Wörder See. Es ist angenehm, die Sonne scheint jetzt hin und wieder (zum Glück habe ich die Sonnenbrille mitgenommen) die Luft riecht rein und abendlich, die Vor-Dämmerung macht sich langsam breit. Mount Everest-Besteigung bei der Eisenbahnbrücke. Dieses Jahr nutze ich die Steigung und lege eine Gehpause ein. Ziemlich langsam marschiere ich zum Gipfel. Der Motorradfahrer nimmt die Abkürzung und wartet auf mich.
Ungefähr auf der Hälfte der Eisenbahnbrücke steht das Schild für Kilometer 4 (bzw. 9 in der 2. Runde), da fährt ein Fahrrad an mir vorbei und es keucht hinter mir. Ich mache Platz, denn ich werde überrundet, die spätere Siegerin läuft an mir vorbei und ich feuere sie an: "bravo! toll! du bist klasse!"
Bei der Caféteria Pyraser auf der anderen Seite signalisiere ich dem Motorradfahrer, dass ich hier einen Schwenk auf die Toilette mache, die frei zugänglich schon oft meine letzte Rettung war. Ich laufe die Treppe hinauf - geschlossen! Das darf doch nicht wahr sein. Die Toilette im Zielbereich ist ein gutes Stück von der Laufstrecke entfernt und wenn jeder zuguckt, dann will ich die Rennstrecke auch nicht verlassen Zum Glück sehe ich gleich neben dem Restaurant ein paar blickdichte Büsche und setze mich kurz entschlossen dahinter. Gut, das müsste bis zum Ziel reichen.
Es geht weiter, im Zielbereich werde ich auf die Nebenspur gelenkt, da ich ja noch eine zweite Runde laufen muss. Ein netter Mann drückt mir einen Becher Wasser in die Hand, ich greife noch meine neben einem Pfosten deponierte Wasserflasche und trage diese dann auf der zweiten Runde in der Hand und wundere mich, dass das gar nicht stört.
Dem ersten Streckenmädchen verkünde ich, dass ich die Letzte bin und sie kommt auch gleich auf ihren Rollerscates hinter mir her und holt mich beim zweiten Streckenmädchen ein. Die beiden unterhalten sich und fahren dann zur nächsten weiter. Dort warten alle dann auf mich und beschließen dann, mit mir zusammen ins Ziel zu fahren. So sammle ich nach und nach immer mehr dieser Mädels auf Inlinern und Rollern ein. Ab und zu überholen sie mich, warten dann und machen La Ola, wenn ich vorbei komme - nur für mich - ich mache auch mit!
Jetzt macht es so richtig Spaß, die Letzte zu sein, sieben Mädchen und eine Frau mit Fahrrad begleiten mich, unterhalten sich mit mir und untereinander und fahren vor, neben und hinter mir her. Sogar den Mount Everest erklimmen sie mit viel Geschrei und nochmal La Ola und wir sammeln weiter die restlichen Streckenmädchen ein.
Kurz vor dem Ziel organisiert ein Mädchen den Zieleinlauf, teilt die anderen rechts und links von mir ein und gibt das Signal für ein ohrenbetäubendes Geschrei. Im Ziel werde ich durch den Lautsprecher angekündigt, alle muntern mich nochmal auf, die Mädchen schreien, die Zuschauer klatschen, ich laufe durch das Ziel und bekomme meine erste Medaille umgehängt. Es geht mir gut, so gut!
Das weiße Finisher-T-Shirt, das ich noch bekomme ist Größe M, aber als Letzte muss frau halt nehmen, was übrig bleibt. Bei der Siegerehrung treffe ich Gerda von der Gruppe von Roland Blumensaat (ihn habe ich dieses Jahr gar nicht gesehen). Der Mann von dem Blumenstand verteilt seine letzten Blumenstöcke und man kann die Urkunden abholen. Und oh Schreck: bei mir steht: 1:35:40. Das kann ja wohl nicht stimmen! Auf der Uhr beim Einlauf war 1:19:irgendwas gestanden und auf meiner Uhr stand das auch. Später stellt sich raus, dass der Mann, der am Computer die entscheidende Taste gedrückt hatte, in einem anderen Programm gewesen war ("weil ich so lange nicht gekommen bin" - Frechheit!), das Programm nicht hatte verlassen können und dann geschätzt hat. So was von verschätzen gibt's ja wohl nicht. Aber meine Urkunde wird geändert und auch bei meinem Namen im Internet steht jetzt die richtige Zeit (leider hat Finishline vergessen, "Team-Bittel" dazuzuschreiben - aber inzwischen habe ich auch das hinbekommen!).
Trotzdem bin ich sehr glücklich. Mein 2. 10er und dieser ganz alleine ohne Hilfe von meinem Team, dafür aber unter vielen Anfeuerungen und mit viel Spaß auf der Strecke in der zweiten Runde durch die Streckenmädchen, denen ich ganz herzlich danken möchte. Ihr habt diesen Lauf für mich zu etwas ganz Besonderem gemacht. So etwas werde ich wahrscheinlich nie wieder erleben (weil ich irgendwann einmal hoffentlich nicht mehr die Letzte sein werde) und deshalb werde ich mich immer daran erinnern. Und ein Foto davon gibt es auch (siehe oben), sieht das nicht klasse aus?
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© Petra Schuster
Nürnberg, 19.08.2004